Ein unterhaltsamer Erfahrungsbericht von unserem Teilnehmer Merlin Westerwalbesloh.
Neun abenteuerlustige Teilnehmer begaben sich in den Norden – und zwar ins schöne, mittelalterliche Lüneburg, um auf Achterbahnen mit 110 km/h geblitzt zu werden, paranormale Häuser zu sehen und eventuell mit Kanu gekentert zu werden – klingt ganz schön riskant, nicht?
Beginnend mit einigen entspannten, aber auch langen Anreisen zu unserer Jugendherberge und einem leckeren Abendmahl zur Stärkung auf ein ereignisreiches Wochenende starteten wir am Speisetisch schon mit den ersten Austauschrunden. Anschließend folgte in dem Seminarraum die Kennenlernrunde. Das Organisations-Team von HörEnswert stellte sich vor und schilderte uns den Programmablauf. Mitten im Orga-Team war der gebürtige Lüneburger und Local-Hero Max. Er gab uns gleich eine Einführung in die Hansestadt Lüneburg.
Gleichzeitig wurden wir mit Höranlagen und Schriftdolmetschern bestens versorgt. So erfuhren wir auch gleich diverse Hobbys/Interessen, Lieblingsfilme, Essensgerichte und traumhafte Reiseziele der einzelnen Teilnehmer, die uns auch einen Input an Gesprächsstoff für die den nächsten Tage gaben. Wäre das noch nicht genug, nein, es lief auch noch parallel die Fußball-Europameisterschaft, die in aller Munde und hin und wieder ein Thema war. Vorzeitiger Spoiler! à Es wurde nie langweilig, also bleibt gerne dran am Bericht 😉
Zurück zum Donnerstag: Den Abend ließen wir mit einer kurzen Tour in das Stadtzentrum ausklingen, bei der wir uns in schöner Abendstimmung die Beine vertreten konnten.
Stadttour durch Lüneburg
Lüneburg, oder auch die Salzgewinnungsstadt. Daraus folgt ein mehr oder weniger sichtbares Stadtbild, das sich nicht so schnell vergessen lässt. Denn die Häuser sind schiefer als sonst nirgendwo. Doch warum? Local-Hero Max erklärt uns, dass sich unter der Stadt ein Salzstock befindet und über Jahrhunderte hinweg Salz abgebaut wurde. Dadurch entstehen unterirdische Hohlräume, die die Gebäude zum Senken bringen. Darunter kippt auch der schiefe Kirchturm St. Johannis mit einer Neigung von 2,20 Metern.
Dann hieß es: „Wir besuchen jetzt das schwangere Haus.“ In unseren Köpfen schwirrten alle möglichen Fragen und phantastischen Vorstellungen rum. In meinem Kopf ganz besonders die Frage: „Wie soll so etwas denn bitte aussehen? Gibt es so was wirklich hier?“
Und tatsächlich, da standen wir vor einem Haus mit einem kugelrunden Bau(ch)…Einzigartig und wohlgedient dem stark gebrannten Gipsmörtel, der im Laufe der Zeit viel Feuchtigkeit aufnimmt und sich deshalb ausdehnt. Kurz und knapp, chemische Reaktionen sorgten nicht nur beim schwangeren Haus für Hingucker, sondern auch bei vielen anderen Mauerwerken in Lüneburg. Fotos durften da nicht fehlen, wir erlebten hier Historisches! Ein Besuch auf den Marktplatz, der einst als Galgenplatz diente, jagte zusätzlich noch kaltes Schaudern ein.
Weiteres Faktenwissen: Lüneburg besitzt zudem eine Hafensiedlung mit der größten Kneipendichte Deutschlands, und nach Madrid sogar die zweithöchste in ganz Europa! Ein Besuch in einer beliebigen Bar war demnach ein Muss. So vertraten wir also nicht nur unsere Beine, wir stillten zudem unseren Durst, sei es mit Cocktails oder Gerstensaft, und füllten unsere (noch nicht) gesättigten Mägen mit günstiger Happy-Hour-Pizza zum unschlagbaren Preis in der Nacht (Richtig gelesen, wir hatten gleich zwei Abendmahle an dem Tag). Wohlgetan gingen wir dann wieder zurück und freuten uns schon auf den Heide-Park.
Heide Park-Resort in Soltau
Am Freitag ging es auch schon in das Achterbahn-Spektakel. Dort angekommen haben wir mit unseren Schwerbehinderten-Ausweisen erstmal für sechs Freifahrten den Schwer-in-Ordnung-Pass geholt. Da wir recht früh da waren, mussten wir kaum in den Menschenschlangen anstehen und konnten so gefühlt den ganzen Park abklappern und unsere Freifahrten für später aufheben.
Mein persönliches Highlight waren der Tower (71 Meter freier Fall bei fast 100 km/h), wohlgemerkt auch wegen der schönen Aussicht, die man oben hat. Besonders war auch die Holzachterbahn namens Colossum, die mit einer Geschwindigkeit von 110 km/h und mit einer Fahrtzeit von 1:45 Minuten eine der Hauptattraktionen des Heideparks darstellt. Da wir unsere Hörhilfen aus den Sicherheitsgründen regelmäßig absetzten, fand ich es ganz schön, wie wir die Kommunikations-Herausforderungen, hauptsächlich in Gebärdensprache und durch das Ablesen von Mundbildern, dennoch super meistern konnten.
Das Wetter war grundsätzlich grandios, Euphorie strömte durch die Adern, eine Achterbahnfahrt folgte auf die nächste. Hin und wieder genossen wir ein paar Pausen für den Austausch und die weitere Planung. Offenheit war das oberste Gebot innerhalb der Gruppe, jeder durfte individuelle Wünsche äußern oder Achterbahnen vermeiden, falls man Bedenken hatte. Im Endeffekt zählte eine Sache: Wir gingen auf dem Weg immer gemeinsam weiter, wir warteten immer auf die jeweils anderen. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei dem Orga-Team von HörEnswert bedanken, dass sie mit einer grandiosen Übersicht und Anpassung an diverse Stimmungsbilder die Lage im Blick hatten. Nachdem unsere Ausdauer allmählich platt wurde und wir viele Kalorien verbrannt hatten (Achterbahn-Fahren erhöht tatsächlich den Energie-Umsatz), entschieden wir gemeinsam, wieder zur Jugendherberge zurückzufahren.
Wie zu Beginn erwähnt, hatten wir einen ausgestellten Schwer-in-Ordnung-Pass. Jedoch fand dieser keine Verwendung. Ich schätze, wir sind doch vollkommen in Ordnung und uns kann wohl nichts im Weg stehen!
Den Freitagabend rundeten wir mit dem Auftaktspiel der Europameisterschaft ab. Auch hier waren wir innerhalb der Gruppe flexibel: Wer das Spiel gucken wollte, konnte das Spiel über die Leinwand verfolgen, wer Gesellschaftsspiele machen wollte, holte sich die Siedler von Catan und wer sich austauschen wollte, befand sich in intensiven Gesprächen. So konnte sich jeder nach dem Abenteuer im Heide-Park Resort auf seine Art und Weise erholen.
Das Spiel gewannen die Deutschen übrigens mit 5:1. Wir waren im Freudentaumel und genossen auch die darüber hinausgehenden Gespräche. Ein Tag voller positiver Eindrücke ging zu Ende.
Kanu fahren an der Ilmenau
Blöderweise startete der Tag mit Unmengen an schüttendem Regen, der uns warten ließ, bis wir mit unserer Kanutour starten konnten. Aber nach einer halben Stunde intensiver Austausch-Gespräche schien die Sonne wieder und unser Local-Hero Max konnte uns nun in die sportliche Aktivität einweisen, die wohlgemerkt auch Teil der Olympischen Spiele ist. Ob wir uns dafür qualifizieren konnten? Wer steht und wer fällt…? Die Auflösung gibt es schon bald 😉
Auf der Ilmenau haben Malte und ich dann mit anfänglichen Schwierigkeiten (in unserem Zwei-Sitzer Kanu) zu Beginn etwas Welle geschoben. Wir sind Rückwärts gefahren, wo wir vorwärts mussten. Wir sind seitlich in Sackgassen gekracht, wo keine Wege waren. Das Paddel habe ich nicht eingesetzt und war nur Deko in meinen Händen. Wenn mich also jemand fragen wird, ob ich Kanu-Fahren gelernt hätte, könnte ich darauf keine Antwort geben. Nach rund 20 Minuten mussten wir mitten auf dem Wasser einen Personalwechsel im Kanu durchführen, zwei Beginner in einem Zwei-Sitzer Kanu waren keine gute Idee, stellten wir fest. Nun fuhr ich mit dem erfahrenen Steuermann Pascal weiter. Fortan ging es das Wasser hinauf.
Wir fuhren die Lüneburger Heide entlang, betrachteten hier und da die schönsten Plätzchen. Dazu genossen wir tiefenentspannt das Geschenk, welches uns gegeben wurde: Die Schönheit der Natur. Die Stille, nicht unbekannterweise losgelöst durch das Absetzen unserer Hörhilfen, war wahrlich Musik für die Seele. Auf der Strecke kamen uns viele enge Kurven und dichtes Gebüsch entgegen, das Wetter blieb allerdings im Gegensatz zum Morgen weiterhin sonnig und hatte keine Aussetzer.
Dann passierte es ganz plötzlich… Es kam ein großer Ast auf uns zu, ich konnte diesem nicht mehr ausweichen, unser Kanu kenterte, Pascal und ich fielen in die Ilmenau. Umgeben von genässten Klamotten mussten wir uns an den Uferrand begeben, um dann anschließend weiter fahren zu können, ganz nach dem Motto: „Weiter geht’s, never give up!“
Auf der Hälfte der Strecke machten wir alle eine Pause an einem angelegten Stellpunkt, dort merkten Pascal und ich schnell: Wir waren nicht die einzigen die gekentert sind. Geteiltes Leid ist halbes Leid würde man meinen, wenn nicht sogar noch schlimmer… Zu aller Enttäuschung gingen auch noch Schuhe und eine Sonnenbrille verloren, wir mussten uns alle einmal sammeln, um den Schock zu verarbeiten. Die erste Hälfte der Kanu-Tour hatte es in sich. Zugegebenermaßen wollten wir schlussendlich die Etappe schnell beenden, um uns umziehen zu können. Das nahm uns jedoch nicht die Stimmung und wir konnten auch mit einem Lächeln die Ilmenau Tour fortsetzen. Vor allem, weil wir kräftebeanspruchend einiges Sportliches geleistet haben.
Bemerkenswert war, dass wir auch im weiteren Verlauf des Tages uns nicht die gute Laune nehmen ließen und auch zum schönen Grillabend in gemeinsamer Runde lachen konnten. Vielen Dank auch an die Jugendherberge für das Bereitstellen von den Salaten und Grillspeisen, die wir draußen bei gut sonnigem Tagesabschluss verschlingen konnten!
Finale der Veranstaltung
Den Sonntag verbrachten wir damit, den Wasserturm – eines der Wahrzeichen von Lüneburg – anzusehen, der sich in sechs verschiedenen Ebenen auf einer Höhe von 56 Meter erstreckt. Sämtliche Fakten über die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 wurden gelesen, aber auch interaktives Berechnen des persönlichen Wasserverbrauchs und die Herausforderung, Wasser aus dem Brunnen zu ziehen (stellt euch vor, das wurde damals täglich gemacht) waren ebenfalls Inhalt des Wasserturms. Oben angekommen auf der Panorama-Plattform hatten wir eine Aussicht, die sich allemal gelohnt hatte.
Wir schauten uns nicht nur das mittelalterliche Lüneburg von oben an, sondern schwelgten auch in Erinnerungen an die Veranstaltungsreise und die Erlebnisse in den letzten Tagen.
Aus meiner Perspektive war die Veranstaltung mehr als nur Stadt, Land und Fluss in Lüneburg. Denn jeder brachte eine eigene Geschichte mit und wir ergänzten uns durch den Erfahrungsaustausch in dieser Gemeinschaft. Ganz besonders das Privileg, sich dabei auf einer Ohrenhöhe unterhalten zu können, 87463-mal nachfragen zu dürfen, wenn man mal etwas nicht verstanden hat (ohne dabei blöd angeschaut zu werden), heben für mich ein Nonplusultra innerhalb der Gemeinschaft hervor.
Der Abschied rückte näher, die einen kehrten in ihren Alltag zurück, andere traten einen weiteren Urlaub an. In allem sind wir uns jedoch einig, es war eine phänomenale Zeit mit einer tollen, großartigen Gruppe.
Nun, zudem war es meine erste Veranstaltung mit HörEnswert, die unfassbar schnell um ging. Aber wie heißt es doch so schön, man sieht sich im Leben immer zwei Mal (und vielleicht auch mehrmals) 😉
Vielen Dank an das Team von HörEnswert, uns diese Veranstaltung zu ermöglichen!
Merlin Westerwalbesloh
Natalie ist unsere Beisitzerin, hat ein Hörgerät und kann immer und überall tanzen. Zudem liebt sie es in der Luft zu sein – egal ob beim Fallschirmspringen oder im Hochseilgarten von Baum zu Baum. Unter dem Motto „Du bist niemals alleine“ engagiert sie sich für den Erfahrungsaustausch und die Gemeinschaft junger schwerhöriger Menschen.